Montag, 22. Januar 2018

Buchrezension: Ellen Sandberg - Die Vergessenen


Inhalt: 


1944. Kathrin Mändler tritt eine Stelle als Krankenschwester an und meint, endlich ihren Platz im Leben gefunden zu haben. Als die junge Frau kurz darauf dem charismatischen Arzt Karl Landmann begegnet, fühlt sie sich unweigerlich zu ihm hingezogen. Zu spät merkt sie, dass Landmanns Arbeit das Leben vieler Menschen bedroht – auch ihr eigenes.

2013. In München lebt ein Mann für besondere Aufträge, Manolis Lefteris. Als er geheimnisvolle Akten aufspüren soll, die sich im Besitz einer alten Dame befinden, hält er das für reine Routine. Er ahnt nicht, dass er im Begriff ist, ein Verbrechen aufzudecken, das Generationen überdauert hat.
Rezension:

2013: Vera Mändler ist Journalistin, die einen für sie frustrierenden Job bei einer Frauenzeitschrift in München hat. Viel lieber würde sie in einem anspruchsvolleren Ressort arbeiten, wagt aus finanziellen Gründen allerdings nicht den Schritt, als freie Journalistin zu arbeiten, auch wenn ihr Verlobter Tom hinter ihr steht und sie dafür motiviert.

Als ihre Tante Kathrin einen Schlaganfall erleidet und ohne Bewusstsein im Krankenhaus liegt, gerät Vera in Konflikt mit ihrem kleinkriminellen Cousin Chris, einem Neffen von Kathrin. Dieser hat Spielschulden und wollte sich bei Kathrin Geld leihen, das sie ihm allerdings verwehrt hatte. Christ verschafft sich nun Zugang zu Kathrins Wohnung, stiehlt das vorhandene Bargeld und nimmt das Sparbuch an sich, war allerdings noch nach etwas anderem.

Als Vera in der Wohnung ein Foto von ihrer Tante findet, auf dem sie in Schwesterntracht mit Hakenkreuz, aufgenommen in der Heil- und Pflegeanstalt Winkelberg, zu sehen ist, ist Vera von ihrem journalistischen Ehrgeiz gepackt, möchte mehr über die Vergangenheit ihrer Tante erfahren, die sie in Teilen offensichtlich verschwiegen hat und macht sich selbst bei Kathrin auf die Suche nach den Dokumenten.

Manolis Lefteris wurde beauftragt die von Chris gesuchten Dokumente für einen ihm unbekannten Kunden zu beschaffen, der mit den Unterlagen erpresst wird. Er heftet sich an die Fersen von Vera. Als er jedoch herausfindet, was die Dokumente offenbaren, zögert er, sie ihr zu entwenden, da er, Sohn eines griechischen Gastarbeiters, sich durch sie an das Schicksal seiner eigenen Familie erinnert fühlt, die von deutschen Wehrmachtsoldaten regelrecht abgeschlachtet wurde.

1944: Kathrin Mändler ist Krankenschwester und arbeitet im letzten Kriegsjahr in einer Heil- und Pflegeanstalt, in der überwiegend behinderte Kinder und Kriegsversehrte untergebracht sind. Als sie merkt, dass die Ärzte sich dort nicht dem hippokratischen Eid verpflichtet sehen, sondern die Menschen kategorisieren und diejenigen, die "keine nutzbringende Arbeit" verrichten können, keine Versorgung erhalten, sondern langsam verhungern bzw. an den damit einhergehenden Krankheiten Tuberkulose oder Lungenentzündung sterben, gerät sie in einen Gewissenskonflikt. Sie möchte die unschuldigen Kinder und Patienten retten, ist allerdings dem Leiter der Anstalt, Dr. Karl Landmann, verfallen.

"Die Vergessenen" ist ein Roman, der auf zwei Zeitebenen spielt und ein dunkles Thema der deutschen Geschichte während des Zweiten Weltkrieges thematisiert. Die Handlung ist Fiktion, beruht jedoch auf wahren Begebenheiten. Der Ort des Geschehens ist angelehnt an das ehemalige Hungerhaus für Mäner der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar und die damit verbundene Fahndung nach einem Nazi-Arzt 60 Jahre nach Kriegsende, um ihn zur Verantwortung für seine Kriegsverbrechen zu ziehen.

Romane über den Antisemitismus und die Judenverfolgung während des Dritten Reiches gibt es viele, "Die Vergessenen" erinnert an andere Opfer der Nationalsozialisten, an hilflose Patienten und Kinder in den Heilanstalten, denen das Recht auf Leben abgesprochen wurde und die dort dem Tod geweiht untergebracht worden sind, als "nutzlose" Menschen nur Mangelernährung erhielten oder zielgerichtet getötet worden sind.
Kathrin Mändler steht beispielhaft für eine Krankenschwester, die die Tötungen nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte und sie unter Einsatz ihres Lebens zu boykottieren versuchte. Sie selbst wird dabei nicht einseitig als Gutmensch dargestellt, sondern auch ihre Charakterschwäche in den Fokus gerückt, die verhinderte, dass Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden konnten.

Die Krimi-Autorin Inge Löhnig hat unter dem Pseudonym Ellen Sandberg eine spannende Familiengeschichte geschrieben, die Ereignisse der Vergangenheit ins Gedächtnis ruft und die menschenverachtenden Verbrechen von Medizinern, die Euthanasie von behinderten Menschen, die nicht durch die NS-Gesetzgebung gedeckt war, während des Zweiten Weltkriegs beschreibt. Es ist ein Roman, der über die Generationen hinweg fesselnd und tief beeindruckend zu lesen ist. 


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