Freitag, 13. Oktober 2017

Buchrezension: Jeannette Walls - Schloss aus Glas


Inhalt:

Jeannette Walls ist ein glückliches Kind: Ihr Vater geht mit ihr auf Dämonenjagd, holt ihr die Sterne vom Himmel und verspricht ihr ein Schloss aus Glas. Was macht es da schon, mit leerem Bauch ins Bett zu gehen oder in Nacht-und-Nebel-Aktionen den Wohnort zu wechseln. Doch irgendwann ist das Bett ein Pappkarton auf der Straße, und eine Adresse gibt es schon lange nicht mehr.
Jeannette Walls berichtet ohne Larmoyanz von ihrer ungewöhnlichen Kindheit in einer Familie, die man sich verrückter nicht vorstellen kann.

Rezension:

"Schloss aus Glas" ist der autobiografische Roman von Jeannette Walls, die das Leben in ihrer Familie ab ihrem dritten Lebensjahr bis Anfang 20 schildert. In sehr lebhaften Beschreibungen erzählt sie zunächst aus der Sicht eines unbedarften Kindes vom Aufwachsen mit ihren drei Geschwistern und dem nomadenartigen Leben mit ihren Eltern.

Vater Rex Walls ist ein Traumtänzer, ein Alkoholiker, der seinen Kindern und insbesondere seinem Liebling Jeannette die schönsten Luftschlösser baut, aufgrund seiner laufenden Arbeitsplatzverluste aber nicht einmal für eine Grundversorgung seiner Familie aufkommen kann. Mutter Rose Mary ist ausgebildete Lehrerin, träumt jedoch von ihrem Durchbruch als Künstlerin und findet auch aufgrund ihres antiautoritären Erziehungsstils keine dauerhafte Anstellung.

Die Familie lebt von der Hand in den Mund und kann aufgrund der ansteigenden Schulden, ihrer kleinkriminellen Aktivitäten und der Rastlosigkeit des Vaters nie lange an einem Ort bleiben. Die Geschwister sind weitgehend sich selbst überlassen, schlafen in Kartons und ernähren sich von dem, was gerade da ist. Im besten Fall stehlen sie die Inhalte der Brotboxen ihrer Mitschüler oder verzehren gar die letzten Reste Margarine, die sie im Kühlschrank finden, mit Zucker. Im schlimmsten Fall wühlen sie sich durch Abfallcontainer.

Als kleines Mädchen verehrt Jeannette ihren Vater, der ihr zu Weihnachten statt Geschenken die Sterne vom Himmel holt. Je älter die Kinder werden, beginn Jeannette und vor allem auch ihre ältere Schwester Lori zu reflektieren, was ihre Eltern ihnen mit ihrer Hippie-Mentalität, ihrer zwanghaften Unangepasstheit und dem vollkommenen Verzicht auf Sozialleistungen des Staates ihnen antun. Jeannettes sehnlichster Wunsch wird es sein, dass ihr Vater aufhört zu trinken.
Mit unwahrscheinlicher Empathie und Einfallsreichtum schaffen es die Eltern aber immer wieder, die Kinder auf ihre Seite zu ziehen, und aus dem Außenseitertum und dem Mangel - nicht nur an Komfort, sondern an lebensnotwendigen, für andere selbstverständlichen Dingen - etwas Positives abzugewinnen.

Wenn man die Erinnerungen von Jeannette Walls liest, ist man regelrecht schockiert, dass sich diese Kindheit wirklich so zugetragen haben soll. Die Autorin schafft es jedoch, die unfassbaren Erlebnisse mit ihrer Familie schon fast nüchtern und objektiv darzustellen, dass sie richtig unter die Haut gehen.
Der Roman ist keine Anklage oder Abrechnung mit den Eltern, sondern ein tragikomischer Tatsachenbericht und ein regelrechter Pageturner, da man mit neugieriger Faszination weiterlesen muss, was Vater oder Mutter als nächstes einfallen wird und wie sich die Lage der Familie weiter zuspitzt.

"Schloss aus Glas" ist ein Roman über eine außergewöhnliche Kindheit und über eine ganz andere, liebevolle Art der Vernachlässigung von Kindern.

Die Verfilmung des Weltbestsellers ist seit 21. September 2017 in den deutschen Kinos.



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