Samstag, 6. Mai 2017

Buchrezension: Lilly Lindner - Splitterfasernackt

Inhalt:

Lilly Lindner ist sechs, als der Nachbar beginnt, sie regelmäßig zu vergewaltigen. Er droht ihr mit dem Schlimmsten, falls sie etwas ihren Eltern erzählen sollte. Und so schweigt das kleine Mädchen. Schließlich zieht der Mann weg – doch Lillys Leben ist längst aus dem Lot. Mit 13 Jahren fängt sie an zu hungern – damit von ihrem geschundenen Körper möglichst wenig übrig bleibt. Doch die Schande macht sie damit nicht ungeschehen. Und so beschließt Lilly als junge Frau, ihren Körper, der ihr schon lange nicht mehr gehört, in einem Edel- Bordell zu verkaufen. Und ausgerechnet hier beginnt sie, ihre ungeheuerliche Geschichte aufzuschreiben – und verfasst ein beeindruckendes, provozierendes Buch von großer Sprachgewalt.

Rezension:

"Splitterfasernackt ist kein leicht zu lesender Roman, da er die Folgen von Gewalt an einem unschuldigen kleinen Mädchen sehr drastisch und ungeschönt darstellt. Dabei werden jedoch keine Details der Vergewaltigungen dargestellt, der Leser erhält erst nach dem Wegzug des Täters Einblick in das Seelenleben der inzwischen 13-jährigen Lilly.

Die Jugendliche ist völlig verstört und schweigt gegenüber ihren Eltern, die entweder blind sind und deshalb nicht begreifen, wie schlecht es ihrer Tochter geht oder die absichtlich wegschauen, weil sie sich mit keinen Problemen beschäftigen möchten.

Das macht fassungslos und traurig, vor allem weil es sich bei dem Roman um die Autobiographie von Lilly Lindner und damit eine wahre Geschichte handelt.

Um vor ihrem seelischen Schmerz abzulenken, fängt Lilly an zu hungern und sich selbst zu verletzen. In ihr herrscht ein permanenter Konflikt zwischen Ana (Anorexie) und Mia (Bulimie) und immer wieder gewinnen beide, wenn Lilly so gut wie nichts isst und das, was sie isst, sofort wieder erbricht. Die Schilderungen sind krank und machen wütend. Einerseits darauf, was Lilly ihrem Körper, der ohnehin schon gelitten hat, noch weiter selbst antut statt sich zu artikulieren und andererseits auf den Nachbar, der ungeschoren davon gekommen ist und gar nicht weiß, welchen Trümmerhaufen er hinterlassen hat.

Als würde Lilly das Unglück magisch anziehen, wird sie mit 17 Jahren erneut brutal vergewaltigt. Im Alter von 20 Jahren beginnt sie als Prostituierte zu arbeiten und fühlt sich in dem Bordell scheinbar geborgen. Sex soll es in ihrem Leben nur noch gegen Bezahlung geben.

"Splitterfasernackt" ist kein Unterhaltungsroman für zwischendurch: Als Leser ist man permanent mit einer geschundenen, kranken, kaputten Seele konfrontiert und taucht in die Gedankengänge von Lilly ein, die man anschreien möchte, sich endlich Hilfe zu holen.
Es ist ein verstörendes Buch einer traumatisierten Frau, das unheimlich wortgewaltig geschrieben ist und einen deshalb in den Bann zieht und trotz des bitteren Beigeschmacks und einer mir zu ausführlichen Beschreibung ihres Lebens als Prostituierte, was den Roman etwas in die Länge zieht, unweigerlich weiterlesen lässt.
Mit dem Schreiben ihrer Autobiographie hat das Kind Lilly endlich Jahre später ihr Schweigen gebrochen und ihre schrecklichen Erlebnisse der Vergangenheit, die auch auf die junge Erwachsene enorme Auswirkungen hatte, versucht zu verarbeiten. 


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